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Konsequenz


„Das Gute,

Dieser Satz steht fest,

Ist stets das Böse,

Das man lässt.“

Das wusste Wilhelm Busch schon vor über einhundert Jahren und doch scheint es in den Köpfen der Boomer Generation nicht angekommen zu sein. Denn immer wieder findet man in den Argumentationen gegen Veränderungen aller Art auch den Hinweis auf die Geringfügigkeit der Wirkung der oder der anderen Maßnahme.

Das ist der schwächste aller Versuche, gute Ideen zu dissen. Selbst wenn es eine gute Idee wäre, so entwickelt sich die Logik dieses Diskussionsbeitrags, wäre sie schon deshalb eben doch keine, weil sie sich zu gering auswirkt. Besonders gerne wird diese Argumentation bei der Klimathematik eingesetzt. Was, so wird zum Beispiel gesagt, nützt es, wenn wir Deutschen uns bemühen, aber auf anderen Erdteilen gar nichts in diese Richtung getan wird?

Ganz aktuell hat das jetzt die FDP vorgemacht mit einem sogenannten Minderheitenvotum gegen die Grundzüge einer neuen Verkehrspolitik. Zwei Wissenschaftler glauben nachweisen zu können, dass eine Tempolimit bei weitem geringere Auswirkungen auf Klima und Gesundheit hätte, als das behauptet wird. Der co2 Ausstoß reduziert sich nur um x und nicht y Prozent, heißt es da zum Beispiel. Die konkreten Zahlen lasse ich weg, denn um die geht es hier nicht. Ich kann nicht beurteilen, welche der vielen Untersuchungen und Beweisführungen richtiger oder weniger richtig sind. Fest steht aber, und zwar ohne jede Diskussion: Wenn man langsamer fährt mit dem Auto, entstehen mehrere Effekte:

-Man verbraucht weniger Energie

-Man stößt weniger Kohlenmonoxid aus

-Man macht weniger schlimme Unfälle

Schauen wir auf das Zitat von Wilhelm Busch, ist die Rechnung doch wirklich sehr, sehr einfach. Wenn ich nicht langsamer fahre, unterlasse ich das Gute, produziere also Ungutes. Ob das Böse in seiner Diktion nun ganz und gar, erheblich oder doch nur ein wenig reduziert wird, spielt dabei keine Rolle. Busch nutzt hier einen Begriff, den man nicht theologisch interpretieren darf. Das Böse ist also nicht des Teufels, sondern viel schlichter ist das gemeint, was nicht gut, nicht hilfreich, nicht konstruktiv ist. Das Auslassen also möglicher positiver Optionen schafft ihr Gegenteil, nämlich das nicht mehr Vorhandensein dieser Optionen.

Konservativ geführte Städte verweigern gerade die Unterstützung von Verbesserungen für die Situation von Lastenfahrrädern. Fahrradhändler verhindern die Schaffung von Bikepoints, um ihr eigenes Geschäft nicht zu schwächen. Die Idee, sie zum Ausleihen anzubieten, von einigen Kommunen mit Erfolg umgesetzt, kommt ihnen vor wie eine einseitige Verbesserung nur einer Gruppe von Verkehrsteilnehmer*innen.

Wie konnte dieses ganz und gar unschuldige Wesen des Lastenfahrrads nur in die Position einer Provokation geraten? Erfunden schon im vorletzten Jahrhundert, mithilfe von kleinen elektrischen Motoren nun weit besser einsetzbar, wie beim normalen Fahrrad ja auch, ist es jetzt aus Sicht der Generation Boom zu einer Behinderung des Autoverkehrs geworden. Da entscheiden Menschen nach ihrer Façon, mit welchem Verkehrsmittel sie sich bewegen wollen und verärgern damit viele derer, die sich anders entschieden haben. Warum nur? Was stört die Generation der Autonutzer*innen, wenn es einige gibt, die sich anderen Verkehrsmitteln zuwenden?

Und ganz ohne Frage wird diese Entwicklung weitergehen. Es wird weiter mehr Fahrradspuren geben, Räder werden auf Autoparkplätzen abgestellt werden dürfen, die Menge der Radplätze,-wege und Stationen wird größer werden. Und die Mischformen aus Auto, E-Bike, Lastenrad und Kettcar werden sich weiter entwickeln. Es macht überhaupt keinen Sinn, sich dagegen zu stellen. Vor allem aber macht es keinen Sinn, dieser Tendenz den Vorwurf entgegenzusetzen, dass das alles nicht viel bringt, nur ein Tropfen auf dem berühmten Stein sei.

Na und? Ein Tropfen Schweiß ist allemal ein besserer Beitrag zur Reduzierung der Klimakatastrophe als ein Liter Schweröl. Zum Beispiel. Denn es geht nicht um Perfektion, um vollendetes Verhalten. Es geht um Weiterentwicklung und Ausbau von dem, was Wilhelm Busch das Gute nennt.

Eine gern eingesetzte Strategie ist es immer wieder, Menschen mit eindeutigen Positionen vorzuwerfen, dass sie sich aber selbst nicht immer daran halten. Dazu eine Anekdote aus meiner Jugend. Ich gehörte mit 15 Lenzen zur Gründungsgruppe der Grünen in meinem Heimatort. Auf dem Marktplatz der kleinen Stadt bauten wir wöchentlich einen Stand auf und warben für die Partei, die damals in keinem Parlament zu finden war und gerne als kommunistischer Ableger der SED gebrandmarkt wurde. So war es zu erwarten, dass die damals Älteren grundsätzlich in uns Systemzerstörer und Terroristen sahen. Eine erstaunliche Ähnlichkeit übrigens zu den Kritikern der Letzten Generation heute, die ja ebenfalls als Terroristen beschimpft werden, nur weil sie Gewohntes Aufbrechen und Strukturen nutzen, um auf ihr Thema aufmerksam zu machen.

Nun denn, damit konnte man damals gelassen umgehen. Am Parteistand wiederholte sich jedenfalls sehr häufig ein Ritual von aufgebrachten Herren (tatsächlich kann ich mich an keine einzige Frau erinnern, die uns lautstark angeschrien hätte). Diese stellten sich vor uns auf, wir sollten doch erstmal was leisten, wir sollten uns um unsere eigenen Dinge kümmern, wir sollten dankbar sein, dass es keinen Adolf mehr geben würde, der uns das nicht nur verboten hätte (dafür waren wir tatsächlich sehr dankbar), sondern uns gleich entsorgt hätte, wir sollten verschwinden, und zwar für immer, wir sollten den Ablauf nicht stören, den gewohnten und uns „verpissen“.

Und dann kam stets: „Geht doch nach drüben!“ Drüben, das war die DDR, das war der Ostblock, das war die Gefahr, das Böse. Da sollten wir hingehen, denn dort wäre es ja genauso, wie wir es fordern würden. Dieser Satz kam so oft, dass man es beinahe bedauerte, wenn er einmal vergessen wurde. Die Argumentationslinie entspricht genau der jetzt häufig vorgetragenen, jemanden dafür zu verurteilen, dass er die Abkehr vom Verbrennermotor fordert, aber dennoch in einem Wagen mit ebendem sitzt. Wer nicht konsequent ist, den muss man nicht ernst nehmen. Wer nicht in die DDR geht, ist kein echter Kommunist, das war die Schlussfolgerung.

Wir waren in der Tat keine Kommunisten, sondern wir waren Gegner der Nutzung von Atomenergie, wir waren damals schon kritisch gegenüber der Bevorzugung von Autos gegenüber ÖPNV und so weiter. Wir mussten nicht in die DDR, sondern ganz im Gegenteil, wir sahen unsere Pflicht darin unseren Protest genau dort zu formulieren, wo er ganz offensichtlich nötig war. Wir glaubten daran, etwas Gutes tun zu müssen. Und, nicht zuletzt, wir wollten da etwas ändern, wo wir es für möglich hielten. In unserer Welt nämlich.

Irgendwann kehrten wir diesen finalen Schuss im Bombardement der alten weißen Männer übrigens um und sagten: „Geht doch selbst nach drüben, dann müsst ihr solche wie uns nicht mehr ertragen.“ Ein ziemlich wirksamer Satz, erinnere ich mich. Zumindest im dem Sinne, dass die Debatte dann erstarb.

Nein, es ist nicht die Konsequenz allein, die Argumente falsch und richtig werden lässt. Fahre ich mehr mit dem Rad als mit dem Auto, ist das ein Beitrag. Heize ich weniger, ist das ein Beitrag. Fahre ich langsamer, ist das ebenfalls einer. Und demonstriere ich für Klimaschutz, wird es dennoch Situationen geben, in denen ich Verbrennungsmotoren oder Düsen zu Fortbewegung nutzen werde. Egal aber doch, wenn ich es immerhin so wenig wie möglich mache!

Busch sagt genau das: Das, was ich lasse, ist im Ergebnis bereits das Richtige. Ich muss nicht alles perfekt machen, das gelingt eh keinem. Aber ich kann mich anstrengen, mehr als zuvor besser zu machen. Und es macht auch noch einmal einen Unterschied, ob ich etwas laut fordere und dennoch etwas bewusst und fortwährend anderes mache (so einen Eindruck gewinnt man nicht selten beispielsweise bei Tugendwächtern, die den erhobenen Zeigefinger heben, um das Verhalten anderer zu bewerten, sich selbst aber jedes Vergehen erlauben, der Kirche konnte man das sicher auch über Jahrhunderte vorwerfen, die moralisch auftraten, aber unmoralisch agierten). Die junge Generation aber, die uns Boomern den Spiegel vorhält, agitiert nicht nur, sie tut auch etwas.

Ihnen nachzuweisen, dass sie nicht konsequent sind, ist langweilig und einfach. Kein Mensch schafft es, immer nur genau das zu tun, was ihm seine eigentliche Einstellung vorgibt. Aber je mehr es vom Guten gibt, um ein letztes Mal auf Wilhelm Busch zu kommen, umso wahrscheinlicher ist es, dass die Welt ein guter Ort bleibt.