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Katja versus Dieter


Wer hätte gedacht, dass gerade DSDS das so vollständige Missverständnis zwischen den Generationen überdeutlich macht? Der Konflikt zwischen der, wie sie sich selbst nennt, Bad Bitch Katja Krasavice und ihrem Mitjuroren Dieter Bohlen ist keineswegs nur der zwischen zwei Promis, die vor allem deshalb Promis sind, weil sie Promis sind. Sondern es ist der zwischen zwei völlig unterschiedlichen Wertesystemen und Erwartungshaltungen.

Was geschen ist, weiß man. Dieter hat eine Kandidatin gefragt, was sie außer ihrem Abitur und sich „duchbügeln“ lassen eigentlich noch gemacht hätte, bevor sie auf die Bühne dieser Sendung trat. Die Kandidatin war empört und verwirrt gleichermaßen, möglicherweise im ersten Moment wegen der vernichtenden Kritik und dem damit verbundenen Ende ihrer Karrierechancen. Dann aber wurde ihr der eindeutige und überfallartig formulierte Seximus der Aussage klar und sie zeigte Emotionen.

Katja wiederum motivierte diese Aussage zu einem zwar schnell, aber gekonnt gezimmerten Diss-Video über Bohlen. Der sich nun wehrt gegen die Vorwürfe und, typisch für ihn und bewährt auch, auf Gegenangriff schaltet. Was von außen nicht schwierig scheint, ist seine Kritikerin doch ein noch auffälligeres Produkt von Hype und modischen Erscheinungen. Mehrfach unter dem Skalpell, krass geschminkt, immer körperbetont gekleidet, überlange Fingernägel und Wimpern, aufgepolsterte Lippen und Brüste und Wolford Fatal am kurvig konstruierten Body: Sie sieht aus wie eine Wiedergeburt all der Träume, die ihr Widersacher in seiner Vergangenheit aufregend fand. Nur dass damals die Veränderungen nicht so weit gingen wie heute.

Aber, und genau an dieser Stelle ist es eben nicht so wie es scheint: Sie ist eine selbstbewusste und auch selbstironische Frau, die weiß, was sie tut, die ihre Wirkung kennt und kalkuliert einsetzt, die also weiß, dass sie wie eine Hyperwoman aus tendenziell geschmacksfernen Erotikutopien von jungen und älteren Männern aussieht. Aber sie ist kein Opfer, kein Produkt anderer, sondern ihre Schau ist ihre eigene, sie will es so und spielt mit dem Vergnügen, dem Neid, der Ablehnung auch ihrer Fans und Nicht-Fans. Sie sieht sich als emanzipierte Frau, die einfach tut, was sie will.

Ihre Position kann man durchaus kritisch sehen. Ist sie nicht doch auch ein Produkt fremdbestimmter Schönheitsideale, die durch Moden, Influencer, sozialen Medien und Vorbilder definiert wird, keineswegs also eine autarke und eigensinnige, insbesondere von männlichen Einflüssen unabhängige Frau? Hier gibt es Bedenken von Wohlmeinenden, die diese Entwicklung mit Sorge sehen und Emanzipation als Erfüllung männlicher Phantasien für absurd und auch gefährlich halten. Daran mag etwas sein, es spielt aber für das Bewusstsein von Kim, Katja und allen anderen keine Rolle. Sie sehen sich nicht als passive Produkte, sondern als aktive eigensinnige Frauen, die machen, was sie wollen und erwarten, dass die Gesellschaft damit umgehen kann.

Nun haben Boomer eine Phase der Emanzipation schon einmal erlebt (sie erleben sie immer noch, glauben aber nun, souverän damit umgehen zu können), auch da ging es darum, dass Frauen nicht länger den sexistischen Blicken der Männer ausgeliefert sein wollten und sich den Klischees und Kleidungsidealen, die großenteils männlich geprägt waren, entziehen wollten. Der Unterschied aber ist groß: Seinerzeit ging es um die Reduzierung von Signalen, jetzt geht es um die Anreicherung. „Wir können das tun, was uns beliebt, euch gibt es so oder so nicht das Recht, uns in welche Cluster auch immer zu stecken.“ Die Aussage ist eindeutig: Die Bodycon Kleidung ist keine Einladung zur Übergriffigkeit, der Ausschnitt keine Bedarfsdeckung und der ausgebaute Hintern kein Ausdruck eines Berührungswunsches. Im Gegenteil. Die Freiheit, sich so operieren zu lassen, wie es einem gefällt, sich so kleiden zu wollen wie es einem gefällt, ist die Freiheit einer selbstbewussten Frau. Bodyshaming ist vorbei, es gibt kein genehmigtes Zuviel oder Zuwenig, sondern eine vollkommen freie Entscheidung. Deren Kommentierung schlicht unnötig ist.

Boomer Cis Männern fällt das schwer, sie wuchsen in anderen Verhältnissen auf. Der Mini-Rock der 60er war eine Provokation, die Älteren konnten mit diesem Ausdruck sexueller Freiheit nicht umgehen und waren, natürlich, dagegen. Wie sie meist gegen all das opponieren, das nicht in ihr Weltbild passt. Es gibt bemerkenswerte Fernsehausschnitte von damals, mit wütenden männlichen Kritikern in den 60er Jahren, die die Frauen für schamlos, für „Flittchen“ halten. Auch andere Worte werden dort gesagt, nein, gerufen. Empörung durch Überforderung.

Katjas Diss-Video ist cool, entspannt, krass, es gendert, ist gegenüber allen Geschlechtern offen und macht überdeutlich, dass Dieter Bohlen hier nicht nur als Pöbelheld angegriffen wird, sondern vor allem als älterer Mann, der die Zeichen der Zeit nicht verstanden hat. Sein Frauenbild mag noch einmal mehr chauvinistisch sein als das vieler in seiner Alterskohorte. Aber im Grundsatz sehen sie es ähnlich: Eine freizügig gekleidete Frau will offenbar Objekt der Begierde sein. Und darum darf man sich anders verhalten als „im Normalfall“. Und genau das sehen die jungen Menschen eben anders. Sie wollen selbstentscheiden, was sie anziehen, wie sie sich gestalten, welches Geschlecht sie fühlen, sind, sein werden und lassen dabei nicht zu, dass andere das bewerten.

Und sie sind solidarisch mit den ihren. Katja sagt laut das, was die Kandidatin dachte, viele Zuschauer*innen wohl auch. Sie wehren sich, sie sind laut und sie nutzen die identische Maschinerie, die auch der Kontrahent seit Jahrzehnten zielführend für sich zu nutzen weiß. Auch das also ist anders als in der Vergangenheit: Frauen wehren sich gemeinsam und erfolgreich und geben dem Sexismus der aus ihrer Sicht Altvorderen keinen Raum.

Auch wenn beide Figuren des Promizirkus auch die ihnen zugedachte Rolle spielen: Das Thema dieser Auseinandersetzung ist bestens geeignet, die geringen Kommunikationsmöglichkeiten zwischen diesen beiden Positionen ablesen zu können.